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Ihr Drop-out bitte!

(K)ein Ratgeber
Eine Anleitung zum erfolgreichen Versagen im Studium


Aus den Erfahrungen der Psychologinnen und Psychologen an der Psychologischen Studierendenberatung konnten viele Kriterien für erfolgreiches Studieren erarbeitet werden. Um jedoch niemanden durch ernsthafte Ratschläge bevormunden zu wollen und damit Gefahr zu laufen, (kindlichen) Widerstand zu produzieren, sollen in diesem Ratgeber die Kräfte des Humors genutzt werden.
Die hohe Zahl der Studienabbrüche an österreichischen Universitäten legt zwar die Annahme nahe, dass viele Studierende auf geradezu intuitive Weise ihren Weg zum Abbruch finden, aber eben auf vielfach dilettantische Weise. So soll dieser Ratgeber helfen, die adäquaten Maßnahmen konsequenter und damit effektiver einzusetzen!
Viel Spaß bei der Lektüre!
Rudolf Pichler

 

1. Studienwahl

Diese bildet die Basis für erfolgreiches Versagen. Wer bei der Studienwahl die folgenden Ratschläge befolgt, hat den Weg zum Abbruch schon fast geebnet. Ja, es ist zu erwarten, dass vieles wie von selbst geschehen wird.
 

1.1    Information:

  • Gehen Sie davon aus, dass zu viel Wissen nur Kopfschmerzen verursacht und die Qual der Wahl erhöht. Nehmen Sie sich die weitverbreitete Meinung zu Herzen: „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß!“. Vermeiden Sie jegliche Information!
  • Reden Sie mit niemandem über Ihre Studien- und Berufspläne. Bemühen Sie sich, jedem Kontakt mit Studierenden des von Ihnen ins Auge gefassten Studiums sowie mit einschlägig Berufstätigen auszuweichen.
  • Machen Sie um Institutionen, die Beratung und Orientierungshilfen anbieten, wie Hochschüler/innenschaft, Berufsinformationszentren des Arbeitsmarktservices, Universitätsinstitute und v.a. die Psychologische Studierendenberatung weite Bögen!
  • Ihnen eventuell unterschobenes schriftliches Informationsmaterial werfen Sie unver-züglich ungelesen weg! Aber bitte in den Altpapiercontainer! Besuchen Sie auf keinen Fall Studien- und Berufsinformationsmessen, Einführungsveranstaltungen für Studienanfänger/innen oder Anfängertutorien. Das Beachten dieser Anleitungen versetzt Sie in die glückliche Lage, Ihre Studienwahl ganz einfach aus dem Bauch heraus zu treffen, ohne jegliches Kopfzerbrechen.

 

1.2    Motivation:

  • Lassen Sie sich unbedingt von außen motivieren! Hören Sie vor allem auf die  Vorschläge und Wünsche anderer Menschen (Eltern, Freund/inn/en, Bekannte) und nehmen Sie sich in bestimmten Berufen Erfolgreiche zum Vorbild. Geben Sie sich Ihren Phantasien und Wunschträumen hin: „Es muss doch wunderbar sein, als ...... zu arbeiten, man hat Geld, Erfolg und Ansehen“.
  • Lassen Sie sich bei der Verwirklichung Ihrer Träume keinesfalls durch fehlendes Interesse oder mangelnde Begabung beeinflussen!

 

1.3    Entscheidung treffen:

  • Im Zweifelsfall verlangen Sie von anderen, für Sie die Entscheidung zu treffen. Es findet sich immer jemand Hilfreicher und Sie sind damit jeglicher Verantwortung enthoben!
  • Quälen Sie sich keinesfalls mit der Suche nach einer bewussten und persönlichen Entscheidung. Vertrauen Sie lieber dem Schicksal, dem Zufall oder tun Sie einfach, was Ihre Freunde tun!

 

2. Lern- und Arbeitsverhalten

Haben Sie Ihre Studienwahl nach obigen Anleitungen getroffen, können Sie sich getrost in den Studienalltag stürzen. Dabei müssen Sie allerdings - im Sinne Ihres Zieles, erfolgreich zu versagen - einige wesentliche Punkte beachten.
 

2.1 In Bezug auf Lernen und Freizeit gibt es grundsätzlich zwei erfolgreiche Strategien:

  • Lernen Sie soviel wie nur irgendwie möglich. Besuchen Sie sämtliche angebotenen Lehrveranstaltungen von früh bis spät. Es ist allgemein bekannt, dass Napoleon auch nur mit drei bis vier Stunden Schlaf ausgekommen ist. Verzichten Sie auf Freizeit und Vergnügen! „Zuerst die Arbeit, dann das Vergnügen“ sei Ihr Leitmotiv, schließlich haben Sie ja nach dem Studium genügend Möglichkeiten, Spaß zu erleben.

Oder

  • Genießen Sie das oft besungene Studentenleben, die „studentische Freiheit“ in vollen Zügen. Lernen Sie das Nachtleben kennen und die Vorteile des Vormittagsschlafes! Pflegen und suchen Sie möglichst viele Hobbys! Lassen Sie sich Ihr angenehmes Leben nur selten durch den Besuch von Lehrveranstaltungen oder durch Prüfungsvorbereitungen vermiesen.
     

2.2 Lerntechnik und Arbeitsorganisation

  • Gehen Sie, wenn überhaupt, selten und unregelmäßig zu Lehrveranstaltungen!
  • Lernen Sie stundenlang „vor sich hin“, am besten ohne Pausen und ohne Planung, und erlauben Sie sich dabei das gute Gefühl, „fleißig zu sein“.
  • Lernen Sie 150%ig! Lassen Sie auch nicht das geringste Detail außer Acht! Wenn etwas in Lehrbüchern oder Skripten steht, muss es doch bedeutungsvoll sein und es könnte ja sein, dass Sie gerade „das“ geprüft werden. Auf Überschriften und Strukturierung kommt es dabei nicht an.
  • Benützen Sie beim Lernen ein- und desselben Stoffes möglichst viele verschiedene Lehrbücher und Skripten. Merke: „Doppelt genäht hält besser“.
  • Wenn Sie bei diesem Vorgehen mit der Zeit den Überblick verlieren, bzw. das Gefühl haben, überhaupt nichts mehr zu wissen und zu verstehen, dann können Sie zufrieden sein, denn Sie sind auf dem richtigen Weg.
  • Lernen Sie vieles auswendig! Einerseits kann ja niemand alles verstehen und andererseits werden Sie doch nicht durch das Bemühen um Verstehen sinnlos Zeit vergeuden.
  • Vermeiden Sie Wiederholungen des Gelernten! Dies ist unter Ihrer Würde als Gedächtniskünstler/in und würde Ihr perfektes Timing empfindlich stören.
  • Lernen Sie immer allein! Seien Sie vor der Konkurrenz und Übervorteilung durch andere auf der Hut. Wenn man allein ist, braucht man auf niemanden Rücksicht zu nehmen. Schlagen Sie sämtliche Angebote zur gemeinsamen Prüfungsvorbereitung und Teamarbeit von vornherein aus. Bedenken Sie: alle großen Leistungen wurden von Einzelgängern/innen erbracht – oder sind die Held/inn/en in Abenteuer-, Kriegs- und Wildwestfilmen etwa keine Vorbilder?
  • Bei Vorbereitungen auf eine Prüfung weichen Sie jeglicher Konfrontation mit derselben konsequent aus. Also: denken Sie nicht an die Prüfung, hören Sie bei Prüfungen anderer Studierenden nicht zu usw.

 

2.3 Lernmotivation

  • Erliegen Sie beim Lernen nicht der Versuchung, Freude oder Befriedigung zu empfinden.
  • Versuchen Sie, möglichst perfekt zu sein. Nehmen Sie sich zu viel vor und bestrafen Sie sich mit Selbstvorwürfen und Schuldgefühlen, wenn etwas nicht klappt. So z.B.: „Eigentlich hätte ich heute dreimal soviel lernen sollen“.
  • Achten Sie darauf – wenn Sie tief in sich hineinhorchen, wird dies sicher möglich sein –, dass Lernen von Ihnen als unangenehm, anstrengend und belastend erlebt wird. Schließlich ist Lernen Ihre Arbeit, und Arbeit kann doch nicht Spaß bereiten!

 

3. Sozialkontakte und Sozialverhalten

Die oberste Maxime lautet: So wenig Kontakte wie möglich!
Sollte Ihnen das aufgrund Ihrer Persönlichkeitsstruktur nicht gelingen, gibt es zum Erreichen unseres Zieles auch die ebenso erfolgreiche Grundhaltung: So viele Kontakte wie möglich!
Bei Befolgen der nachfolgenden Ratschläge sind diese kontroversiellen Ausgangspositionen zu beachten:
 

  • Meiden Sie Kontakte mit Studienkolleg/inn/en, schließen Sie sich keinen Lerngruppen oder Lernpartner/innen an. Setzen Sie sich heftigst gegen eventuell aufkommendes kulturelles oder sozialpolitisches Engagement zur Wehr. Beharren Sie auf Ihrem „Einzelkämpfertum“, alles andere ist mit lästiger Konkurrenz verbunden und könnte Sie vom Verfolgen Ihres Zieles abbringen.

 

3.2 Bezüglich Ihrer Kontakte außerhalb der Universität gibt es wieder zwei entgegengesetzte erfolgversprechende Strategien: 

  • Schließen Sie sich keinen Interessens- oder Freizeitgruppen an – das lenkt doch nur ab.

 Oder

  • Engagieren Sie sich in möglichst vielen Gruppen und Vereinen und versuchen Sie am besten auch Funktionärspositionen zu übernehmen!

 

3.3 Hinsichtlich enger Beziehungen ist es ähnlich wie beim vorherigen Punkt.

  • Lassen Sie sich auf keinerlei Vertrauensbeziehungen ein, scheuen Sie Partnerbeziehungen ebenso wie das Eingebundensein in einen Freundeskreis.

Oder

  • Lassen Sie sich von Ihren Beziehungen so richtig „aufsaugen“, erfüllen Sie alle Wünsche und Ansprüche guter Freund/inn/en, geben Sie wegen Ihrer Partnerbeziehung sämtliche eigenen Bedürfnisse auf, leben sie nur für „sie“ oder „ihn“.

 

3.4 Auch im Umgang mit Universitätsangehörigen gibt es zwei Strategierichtungen.

  • Meiden Sie jeglichen Kontakt und gehen Sie in keine Sprechstunde. Sie wollen doch den/die Professor/in nicht stören. Sollte ein Kontakt unvermeidlich sein, geben Sie sich unterwürfig und hilflos, schließlich sind Sie ja nur ein/e kleine/r Student/in

    Oder

  • Verfolgen Sie die Universitätslehrern/innen, stellen Sie ihnen nach, bombardieren Sie sie mit Ihren Fragen, Ihrem Drang nach Wissen. Im Umgang mit Angehörigen der Universitätsadministration geben Sie sich am besten überheblich, schließlich sind „die“ ja für Sie da!

 

3.5 Umgang mit den Eltern

Bleiben Sie im Umgang mit Ihren Eltern möglichst auf einem kindlichen Niveau! Das hat doch jahrelang bestens funktioniert. Besonders effektiv ist es, den Eltern die Schuld für eigenes Versagen zuzuschreiben. 

  • Lassen Sie den Eltern die Verantwortung für Sie! Das erspart selbstständiges Denken und Handeln!

    Oder 

  • Wehren Sie sich heftig gegen Bevormundung und machen Sie grundsätzlich das Gegenteil von dem, was von Ihnen erwartet wird. So halten Sie eine gewisse Spannung in Ihrer gegenseitigen Beziehung aufrecht!

 

4. Persönliche Probleme

Als oberster Grundsatz sollte für Sie gelten: Ich habe keine Probleme und ich darf keine haben! Am besten ignorieren Sie sämtliches in dieser Richtung Aufkeimende. Lenken Sie sich ab. Am effektivsten im Sinne unseres Zieles haben sich hier Dauerfernsehen und/oder Computerspielen bewährt. Vermeiden Sie aktive Auseinandersetzung mit Ihren Schwierigkeiten und reden Sie mit niemandem darüber.
Sollte Ihnen dies nicht mehr gelingen, suchen Sie die Ursachen Ihrer Schwierigkeiten bevorzugt außerhalb Ihrer selbst, sprechen Sie andere schuldig und warten Sie geduldig darauf, dass diese Ihnen helfen werden! Wenn nicht, verstärken Sie Ihr Leiden und stellen Sie es auch zur Schau.
Zur vertieften Auseinandersetzung mit diesem für das Erreichen Ihres Zieles kardinalen Bereich sei auf Paul Watzlawicks Buch „Anleitung zum Unglücklichsein“ verwiesen. Nehmen Sie sich Zeit und lernen Sie die erstaunlich vielen Möglichkeiten kennen, sich selbst unglücklich zu machen!
Noch eine Warnung:
Auf keinen Fall dürfen Sie sich an eine Stelle der Psychologischen Studierendenberatung wenden! Dies könnte Ihren gesamten Plan zunichte machen.

 

5. Studienwechsel

Am besten lassen Sie diese Möglichkeit vollkommen außer Acht. Orientieren Sie sich am Grundsatz „Was man begonnen hat, bringt man auch zu Ende“. Ignorieren Sie alles, was für einen Wechsel sprechen könnte, wie z.B. die Veränderung Ihrer Persönlichkeit oder Ihrer Lebensumstände, aber auch die Erkenntnis, dass Sie Ihre eigenen Interessen und/oder Fähigkeiten ursprünglich falsch eingeschätzt und dadurch eine falsche Studienwahl getroffen haben.
Sollten Sie trotzdem einen Studienwechsel ins Auge fassen, beachten Sie nachstehende Bedingungen:

  • Ihre Entscheidung sollte auf möglichst emotionaler und irrationaler Grundlage beruhen. Wechseln Sie nach einer nicht bestandenen Prüfung. Wechseln Sie mit dem Gefühl, versagt zu haben und der inneren Gewissheit, weiter nur versagen zu können! Machen Sie sich dabei die heftigsten Selbstvorwürfe und beladen Sie sich mit Schuldgefühlen!
     
  • Zögern Sie einen solchen Schritt, bei allen Zweifeln, solange wie möglich hinaus. Man wird doch nicht gleich die Flinte ins Korn werfen! Am günstigsten für Ihr Vorhaben ist ein Zeitpunkt, zu welchem Ihr Studium schon weit fortgeschritten ist.
     
  • Halten Sie unerschütterlich Ihre Einstellung aufrecht, dass nur Unvermögen und absolute Unfähigkeit Sie zu einem solchen Schritt gezwungen haben!
     

 

6. Studienabschluss

Sollten Sie trotz aller Bemühungen, Ihr Ziel (das Versagen) zu erreichen, doch in die Phase des Studienabschlusses gelangt sein, so ist das noch lange kein Grund, Ihr Vorhaben fallen zu lassen. Es gibt auch dann noch genügend Möglichkeiten, die Ihnen offen stehen.

  • Lassen Sie sich bei Ihren Aktivitäten treiben! Schieben Sie die letzten Prüfungen möglichst weit hinaus!
     
  • Legen Sie Ihre Abschlussarbeit so umfangreich wie nur möglich an. Geben Sie sich nur mit perfekten Sätzen zufrieden. Schreiben Sie die Arbeit ggfs. immer wieder um oder beginnen Sie am besten wieder von vorne.
     
  • Lassen Sie Ihren Ängsten freien Lauf und blicken Sie mit Entsetzen auf den bevorstehenden neuen Lebensabschnitt!
     
  • Zögern Sie den Abschluss so lange es irgendwie geht hinaus! Zur besseren Glaubwürdigkeit können Sie Krankheiten und psychische Leiden entwickeln.
     
  • Machen Sie sich die traurigen Veränderungen bewusst, die die Zukunft nach Studienabschluss mit sich bringen wird! Bedenken Sie das Übermaß an Selbstverantwortung und Selbstbestimmung, das auf Sie zukommt! Vermeiden Sie es, sich mit dem Abschiednehmen von Vertrautem auseinander zu setzen!

 

Damit ist dieser kleine, aber profunde Ratgeber zu Ende und es ist zu hoffen, dass er  möglichst breites Interesse und Beachtung findet, zumal damit auch die weit verbreitete Meinung, Psycholog/inn/en könnten keine praktischen Ratschläge geben, Lügen gestraft wird.

Es ist naheliegend, dass ein solcher Ratgeber, obwohl er auf empirischen Erfahrungen basiert, nicht alle Möglichkeiten darstellen kann. Sollten Sie, liebe Leserin, geschätzter Leser, über erprobte Versagensstrategien verfügen, die hier nicht erwähnt werden, so bitten wir Sie, mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Psychologischen Studierendenberatung Kontakt aufzunehmen. Ihre Erfahrungen könnten für eine Überarbeitung (da es sich um einen Artikel in der HP handelt wird dies nicht „neu aufgelegt“ sondern ggfs. überarbeitet) verwendet werden und Sie könnten damit anderen, nachkommenden Gleichgesinnten helfen, ihr Vorhaben zu verwirklichen.

An all jene, die sich unseren Anleitungen anvertraut haben und nicht die gewünschten Erfolge erzielen konnten, richten wir ebenfalls die Bitte, Ihre Kritik nicht zurückzuhalten, sondern uns in den Beratungsstellen damit persönlich zu konfrontieren.

Falls Sie das wollen, beraten Sie die Mitarbeiter/innen der Psychologischen Studierendenberatung übrigens auch gerne und kostenlos in allen Fragen der Studienwahl und des Studienwechsels, bei Lernschwierigkeiten, Prüfungsangst, persönlichen Problemen und in Fragen der Persönlichkeitsentwicklung.